Alexander von Humboldt und Peru

Eduardo Orrego Acuña: Alexander von Humboldt und Peru. In: La Casa de Cartón, II Época Nr. 12, 1997.

Humboldt und seine peruanischen Erfahrungen

Ab dem 2. August 1802, als er seinen Einzug in unser Gebiet bei Lucarque und Ayabaca, Provinz Loja, hielt bis zum 24. Dezember desselben Jahres, als er sich im Hafen von Callao auf der Korvette La Castor in Richtung Guayaquil und Acapulco einschiffte, hat Humboldt nicht nur die naturwissenschaftlichen und geographischen Merkmale von Peru aufgezeichnet, sondern sich auch intensiv mit historischen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Aspekten befasst, wobei er mit seinen Schilderungen ein detailliertes Bild vom Leben in Peru hinterließ (siehe Vegas Vélez, 1991, S. 16-17; Minguet, 1969, S. 170-175). Erstaunlich ist die Genauigkeit, mit der Humboldt seine Studien betrieb, umso mehr wenn man berücksichtigt, dass die Reise nach Peru eigentlich mehr Schicksal als Absicht war. Humboldt erzählt in seinem Buch „Vom Orinoko zum Amazonas. Reise in die Äquinoktial-Gegenden des neuen Kontinents“, dass der Grund seiner Reise nach Peru und speziell nach Lima ein doppelter war. Erstens um sich einer vom französischen Kapitän Nicolas Baudin geleiteten Umsegelungsexpedition anzuschließen, die im Jahre 1800 in der Südsee Entdeckungen wie Neuholland, Neusüdwales (jetzt Australien) gemacht hatte und die diesmal plante erneut von Frankreich aus zu den Pazifik–Inseln zu segeln, sobald die Regierung der Französischen Republik die notwendigen Mittel zur Verfügung stellte (siehe Humboldt, 1958, S. 411; Vegas Vélez, 1991, S. 61 Fußnote). Humboldt erfuhr in La Havanna, dass die Korvetten Le Géographe und Le Naturaliste unter dem Kommando von Baudin um das Kap Horn segeln würden und gegen 1802 am Hafen von Callao vorbeikämen (siehe Humboldt, 1958, S. 411). Er beschloss deshalb, sich anstatt nach Mexiko und den Philippinen Südamerika und Peru zuzuwenden. Die Expedition von Baudin änderte jedoch ihre Richtung, als Humboldt sich bereits auf dem Weg nach Lima befand.

Humboldt, den wie viele Nordeuropäer die fernen und exotischen Orte faszinierten, träumte davon, von Lima aus auch die polynesischen Inseln im Pazifik zu erreichen. „Die Idee die Südsee (den Pazifischen Ozean) zu sehen hatte etwas Feierliches für jemanden, der einen Teil seiner Bildung und seines Geschmackes und Neigungen der engen Beziehung zu einem der Begleiter von Kapitän Cook (Jorge Forster) verdankte. Meine Reisepläne kannte Jorge Forster schon seit langem...“ (Humboldt, 1958, S. 411; James Cook (1728-1779): englischer Seefahrer, Entdecker von Neuseeland; Jorge Forster (1754-1798): Humboldts Freund, Reisender, Revolutionär, deutscher Naturforscher).

Trotz allem was passierte, gab es einen zweiten Grund, der Humboldt nach Lima brachte: Am 9. November 1802 sollte in Callao der Merkur an der Sonnenscheibe vorbeiziehen, ein Ereignis, das eine bessere Längengradfestlegung von Callao und des südwestlichen Teils des Neuen Kontinents ermöglichen würde. (Siehe Humboldt, 1958, S. 411; Raimondi, 1879, Band 3, S. 17).

Zweifellos tauchten neue Anreize auf, je weiter von Humboldt in dem Gebirge der Anden von Quito nach Peru vordrang. Nicht nur, dass er das erste Mal den Pazifischen Ozean sah, von dem er geträumt hatte, nachdem er Schilderungen gelesen hatte, wie z. B. die von Vasco Núñez de Balboa, er stellte auch Studien über die Quellen des Marañón (der damals als Amazonas angesehen wurde), die Anden, die Flora, Fauna und Spuren aus der vorspanischen Zeit an, um nur einiges zu nennen (siehe Botting, 1981, S. 143; Vegas Vélez, 1991, S. 13-18).

Sehr vielseitig war seine Persönlichkeit, immer aufmerksam für das, was die Natur ihm bot:

  • Botanische Beschreibungen über den Chinarindenbaum und seine Eigenschaften, Mimosen, Korallensträucher, Bougainvillen, Zitronen- und Apfelsinenbäume, Papaya, Chirimoya, die Früchte des Vejuco de la Peca.
  • Studien über die Fauna: die schwarzen Drosseln, die Trupiale. Besichtigungen der Inkaruinen in Chulucanas und der Tambos in der Nähe von Pomahuaca.
  • Legendäre Geschichten über einen angeblichen Mann im Urwald in der Nähe von Tomependa und dem Marañón (siehe Vegas Vélez, 1991, S. 14-41; Minguet, 1969, S. 170-173; Núñez, 1971, S. 197).
  • Aufzeichnungen über die Baumwoll- und Zuckergewinnung auf dem Weg nach Chachapoyas.
  • Studien über die Silbergewinnung in den Bergwerken von Hualgayoc und Feststellung der niedrigen Ergiebigkeit.
  • Gespräche in Cajamarca mit Nachkommen von Atahualpa (der Familie Astorpilco).
  • Ausflug in das Chicama-Tal und auf dem Virú-Fluss in der Nähe von Trujillo, wo die Spanier zu Beginn ihrer Entdeckung die Indios, wenn sie sich auf den Fluss bezogen, „Pelu“ sagen hörten und annahmen, dass es sich um den Namen dieses Landes handele.
  • Besuch der Ruinen von Chan Chan und des Señor del Gran Chimbo (vergleiche Vegas Vélez, 1991, S. 47-75, über den Ursprung des Namens Peru, ibidem, S. 68; siehe Minguet, 1969, S. 173-175; über die Bergwerke Hualgayoc siehe Faak, 1982, S. 302).

Diese Aktivitäten setzten sich fort bis zu Humboldts Ankunft in Lima, dem zentralen Punkt seines Aufenthaltes in unserem Lande. Es wurde gesagt, dass Humboldt die Neue Welt neu erobert hat und er tat dies Dank seiner wissenschaftlichen Annäherung an die verschiedenen Realitäten. Aber abgesehen vom dem Forscher, der sehr zutreffend das Klima von Peru studierte und feststellte, dass die Kälte an der Küste nicht von den Anden kommt, sondern von der kalten Meeresströmung an der Küste (eine Strömung, die seinen Namen trägt) - Vegas Vélez, 1991, S. 90 -, erkennen wir in Humboldt den Humanisten, den Ideenträger der Aufklärung und den Zeugen der bedeutendsten Ereignisse, die Ende des 18. Jahrhunderts in Europa stattfanden: u.a. die Französische Revolution. Humboldt feiert die anfänglichen Erfolge dieser großen Idee, die Deklaration der Menschenrechte von 1789 (Minguet, 1969, S. 22, 29 und 78). Mit diesen Ideen begibt er sich auf seine Reise ins spanische Amerika, das sich in den letzten Jahren der Kolonialherrschaft befindet, kurz vor dem Prozess der Lostrennung vom spanischen Mutterland (Faak, 1982).

Obwohl Humboldt dem Ministerpräsidenten Mariano de Urquijo und dem König von Spanien Karl IV dankbar ist, weil sie ihm den Zugang zu den spanischen Kolonien von Amerika ermöglichen, indem sie ihm eine Genehmigung ausstellten (Botting, 1981, S. 54 und 56; Humboldt, 1811, Band 1, Widmung an den König von Spanien), hindert ihn dies nicht in seinem Tagebuch seine Abneigung gegen die Kolonial-Regime zum Ausdruck zu bringen: „Jede Kolonialregierung ist eine Misstrauensregierung. Hier wird die Autorität nicht so verteilt, wie es das öffentliche Wohl der Bevölkerung verlangt, sondern nach dem Argwohn, dass diese Autorität sich zu sehr an das Kolonialgut binden könnte und so gefährlich für die Interessen der Metropole werden könnten“ (Faak, 1982, S. 63).

Als Humboldt ins spanische Amerika kommt, haben sich bereits einige Konspirationen und Erhebungen gegen das Kolonialregime ergeben. Hervorzuheben sind die Sklavenbewegungen in Coro, Venezuela (1795), die Konspiration der Kreolen mit jakobinischen Ideen von Manuel Gual und José España auch in Venezuela (1797), Unruhen in Neugranada im Jahre 1781, Intrigen, in denen sich Antonio Nariño verwickelte, die Erhebung von Túpac Amaru, die zwischen 1780 und 1781 geschah, ohne die Geheimarbeiten eines gewissen Francisco de Miranda zu vergessen, der 1790 seine Verhandlungen mit den Engländern begann, um im Namen der Unabhängigkeit Amerikas Unterstützung zu bekommen, oder eines gewissen Juan Pablo Vizcardo y Guzmán, der seinen berühmten Brief an die amerikanischen Spanier im Exil aufsetzt (siehe über Venezuela Minguet, 1969, S. 252; über Neugranada, Beck, 1959, Band 1, S. 187-188; über Túpac Amaru, Faak, 1982, S. 316-137; ferner siehe Botting, 1981, S. 82).

Unter all diesen Kundgebungen fand Humboldt besonderes Interesse an der Erhebung von Túpac Amaru. In Lima erkundigte er sich ausgiebig über diese Erhebung, wobei er sich der Unterlagen der Regierung bediente und auf die Comentarios Reales von Garcilaso de la Vega, dem Inka, zurückgriff, um gewisse Geschichtsphasen des Vizekönigreiches zu ergründen. Eine kritische Analyse der Gründe der Bewegung von Túpac Amaru brachte ihn zu der Einsicht, dass dieser Führer vor allem aus persönlichen Gründen kämpfte, wie z. B. um das Markgrafschaftsrecht von Oropesa als direkter Abkömmling des letzten Inkas von Vilcabamba (Túpac Amaro I) zu erlangen. Er merkte ferner an, dass die despotischen Bestrebungen des Kaziken recht eindeutig waren (Faak, 1982, S. 316-317).

Humboldt war noch kritischer, als er in seinen Schreiben späteren Datums erklärte, dass die Bewegung Túpac Amaru keine konsistente Ideologie habe: „So seltsam dies auch scheinen mag, ihre Gründe waren in keiner Weise mit den Bewegungen verbunden, die in den englischen Kolonien aufgrund des Zivilisierungsprozesses und des Wunsches nach einer freien Regierung aufkamen. Isoliert vom Rest der Welt, mit keinem anderen Handel als den mit den Häfen der Metropole, nahmen Peru und Mexiko nicht an den Ideen teil, die die Bevölkerung von Neu-England bewegten“ (Humboldt, 1811, Band 2, S. 817).

Über den eigenen etwas harten und kategorischen Stil von Humboldt hinaus, wenn er politische und soziale Angelegenheiten beurteilte, geben wir die Meinung von Antonio Raymondi - dem italienischen Reisenden, der 1850 nach Peru kam -, die er über den deutschen Wissenschafter in seinem Werk Peru kundgibt- wieder:

„Dieser berühmte Naturforscher besaß ein großes Talent für die beobachtenden Wissenschaften, ein gesundes Kriterium und eine ausgesprochene Tendenz zu spekulativen Wissenschaften: ein harmonisches Zusammentreffen, das nur den privilegiertesten intelligenten Menschen eigen ist. Zu diesen begnadeten persönlichen Begabungen kam dann noch der mächtige Schutz der Monarchen und das Glück eine neue Welt im wahrsten Sinne des Wortes als Arbeitsfeld zu haben“ (Raymondi, 1879, Band 3, S. 15).

Raymondi liefert uns ferner eine kurze Zusammenfassung des Aufenthaltes von Humboldt in Peru und unterstreicht seine geografischen Arbeiten und Abgrenzungen, die Humboldt von den Grenzen des damaligen Vizekönigreiches machte (Ibidem, Band 3, S. 14-20).

Ziemlich aufschlussreich erscheinen uns dann die folgenden Aussagen des italienischen Gelehrten: „Schade für Peru, dass Humboldt sich nur wenige Monate der Studie dieses bevorzugten Landes widmen konnte, und nicht diese leuchtenden Spuren seines Besuches hinterließ wie an anderen Orten Amerikas (...). Denn dieser berühmte Gelehrte besuchte nur einen Teil des Nordens und die Küste zwischen Ica und Trujillo. Deshalb hat Humboldt, obwohl er viel geschrieben hat, seinen Reisen in Peru kein spezielles Werk gewidmet, sondern alle seine Daten über dieses Land sind in den zahlreichen Veröffentlichungen verteilt, die er über verschiedene Gebiete machte. Bezüglich seiner Reise durch den Norden gibt es eine interessante Denkschrift unter dem Namen: Le Plateau de Cajamarca“ (Ibidem, Band 3, S. 15).

Den Platz, den Humboldt Peru auf seiner Amerika-Reise einräumte und die Zeit, die er ihm widmete, haben natürlich Einfluss auf die Wirkung gehabt, die seine Persönlichkeit in unserer Geschichte gehabt hat. In diesem Sinne macht der Historiker Ruben Vargas Ugarte eine sehr interessante Feststellung: „So wie der geniale Humboldt den Mexikanern erklärte, was sie waren und was das Neue Spanien sein könnte, so erhielten wir eine ähnliche Lektion durch die französische Expedition von Godin und La Condamine, an der die spanischen Seefahrer Jorge Juan und Antonio Ulloa teilnahmen und später durch die Expeditionen von Ruiz und Pavón, de Malaspina und der Metallurgen unter der Leitung von Baron von Nordenflycht“ (Vargas Ugarte, 1966, Band 5, Seite 213).

Wie auch immer, Humboldt hatte seine viereinhalb Monate in Peru intensiv gelebt und trotz der kurzen Zeit, hinterließ er uns ein großes Vermächtnis, damit wir ihn nicht vergessen und uns jedes Mal an ihn erinnern, wenn wir unser weites Meer betrachten.

Humboldt und Lima

In einem Brief, der von Humboldt im Jahre 1803 in Guayaquil an seinen Freund, den Gouverneur von Jaén, Ignacio Checa, geschrieben wurde, kritisierte er u.a. Lima und dessen traurige politische und wirtschaftliche Situation und das geringe Nationalbewusstsein seiner Bewohner (siehe hierzu den Text des Briefes unter Vegas Vélez, 1991, S. 86 und 87). Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen und mit ziemlicher Schärfe drückt sich Humboldt über die Hauptstadt des Vizekönigreiches Perus aus, nachdem er seinen Aufenthalt in unserem Lande beendet hatte. Aber was hat ihn zu dieser Schlussfolgerung gebracht? Was hatte er erwartet in Lima vorzufinden?

Gehen wir ein wenig seinen Erlebnissen nach. Humboldt kam von Trujillo, Chimbote und Casma auf dem Landwege nach Lima. Er verweilte vom 23. Oktober bis zum 24. Dezember 1802 in der Hauptstadt. Seine Reise war nicht ohne Unbequemlichkeiten: „Nachdem wir wegen fehlender Esel in Trujillo hängen blieben, brachen wir von dort am 7.10.1802 in Sänften auf. Jorge Juan hat dies gut illustriert. Eine Sänfte kostet 40 Pesos, man verkauft sie in Lima für 20, man bezahlt für die Führung (2 Esel und ein Sänftenträger) pro Pferd von Trujillo nach Lima 40 Pesos. Das gleicht einer Schlafkoje auf einem schlechten Schiff. Man wird wild hin- und hergeschüttelt, viele Leute übergeben sich (ihnen wird übel), das passiert sogar den Hunden, man kann liegen oder sitzen, aber keins von beiden ist auszuhalten“ (Vegas Véles, 1991, S. 70). Und er schreibt ferner: „Was für ein Unterschied ist doch diese Küste von Peru ohne Grün, ohne Bäume, ohne Regen von Ica bis Piura gegenüber der Küste der Yumbos, Esmeralda, Guayaquil, wo die Natur in einem warmen und feuchten Klima eine Pflanzenwelt geschaffen hat, wo die Vegetation dicht belaubt, majestätisch ist wie die der Flüsse östlich der Anden“ (Ibid. S. 71).

Der Weg durch die Küstenwüste hat Humboldt zweifellos beeindruckt, der vorher in der üppigen Landschaft an den Ufern des Marañón oder in der nördlichen Zone Südamerikas (die Urwälder des Orinoco) oder in diesen anderen Andengebieten gewesen war. Humboldt kam nach Lima mit bestimmten vorgefassten Ideen, Vorurteilen kann man sagen: „In Europa malt man uns Lima wie eine Stadt des Luxus, der Pracht, der schönen Frauen...“ (Núñez, 1971, S. 197).

Er kam an Chancay vorbei, dann am Ramadal und kam schließlich bei Nacht über die Portada de Guía nach Lima, wie Estuardo Nuñez und Georg Petersen nachvollzogen haben. In der Hauptstadt wohnte er neben dem Kloster San Juan de Dios (in der Nähe der Plaza San Martin), bevor er am 7. November 1802 nach Callao umzog, um seine Forschungen am Meeresufer und das Vorbeiziehen von Merkur an der Sonnenscheibe beobachten zu können (siehe Nuñez, 1971, S. 15 und 162; Raymondi, 1879, Band 3, S. 17).

Er wurde sehr freundschaftlich aufgenommen, wie der Historiker Minguet (Minguet, 1969, S. 174) erklärt und wie auch aus Humboldts Briefen an den Vizekönig von Neu Granada, Pedro Mendinueta und an den Gouverneur von Jaén, Jose Ignacio Checa, hervorgeht (siehe Nuñez, 1971, S. 179 und 198). Humboldt schreibt: „Der Vizekönig und Regent (Manuel Antonio de Arredondo), bei denen uns Herr Mendinueta empfohlen hatte, der Inspektor Villa, Aguirre, Valcazár, Gainza, und ich kann sagen, ganz Lima hat uns mit sehr viel Achtung und Freundschaft behandelt“ (Ibid. S. 189).

Die Ankunft des deutschen Reisenden geschah fast ein Jahr, nachdem der Graf Gabriel de Avilés y del Fierro als neuer Vizekönig von Peru (1801-1806) für den Vizekönig Ambrosio de O´Higgins (1790-1801) in Lima Einzug gehalten hatte. Avilés hatte eine unstabile Situation in Lima vorgefunden: Probleme mit den Staatsfinanzen, Krieg mit England mit negativen Folgen für den Handel und die Schifffahrt, wie Ruben Vargas Ugarte berichtet (Vargas Ugarte, 1966, S. 161-176).

Humboldt stellte verschiedene wissenschaftliche Forschungen in Lima an, er machte aber in seinem Tagebuch auch Einträge über die vorherrschenden Lebensbedingungen in der Stadt. Er verkehrte mit bekannten Persönlichkeiten, nahm Einblick in die Geschichtsbücher, erbat Information über Geographie, Kartographie und den peruanischen Bergbau. In diesem Rahmen sind auch seine Vorschläge zur Berichtigung der von Tofiño, Malaspina, Churruca, Fidalgo gezeichneten Karten anzusiedeln (Faak, 1982, S. 286 + 287), seine Messungen über die genaue Lage von Lima und Callao, seine Kontakte zu Baron Timoteo von Nordenflycht, der 1790 mit einer deutschen Expedition von Spezialisten in Bergbau und Amalgamierungsmethoden gekommen war, und die man gerufen hatte, um den Abbau von Mineralien zu verbessern (z.B. in Huancavelica). Nordenflycht war als Generaldirektor der mineralogischen Kommission tätig. Sowohl er als auch ein Spezialist für Amalgamierung, Anton Zacharias Helms, gaben Humboldt Informationen über den peruanischen Bergbau in verschiedenen Gebieten Perus wie Lauricocha und Cerro de Pasco. Laut dem deutschen Prof. Hanno Beck erfuhr Humboldt etwas über den Naturforscher Thadeo Haenke, der 1790 mit der vom italienischen Seefahrer Malaspina geleiteten Expedition nach Peru gekommen war. Die Studien von Haenke über die peruanische Flora, den Bergbau und die Entwicklung einer Art Geographie der Pflanzen waren für ihn besonders sinnvoll. Dies bestätigt die Lektüre des Werkes des böhmischen Naturwissenschaftlers (siehe Beck, 1959, Band 1, S. 211 + 212; Minguet, 1969, S. 174 + 175; Vargas Ugarte, 1966, S. 81-84; Tadeo Haenke: Naturwissenschaftler und Botaniker, gebürtig aus Böhmen, Autor eines Werkes mit Beschreibungen von Peru).

Ferner widmete unser Reisender seine Zeit der peruanischen Küste, dem Studium der Merkmale des Guanos, wie dies auch ausgiebig Antonio Raymondi tat. Und es sollte schließlich nicht vergessen werden, dass sich am 9. November 1802 Humboldts Wunsch erfüllte und er Merkur an der Sonnenscheibe vorbeiziehen sah: „(...) ich entdeckte Merkur als einen kleinen schwarzen Punkt zwischen vier Sonnenflecken...“ sagte er (Raymondi, 1879, Band 3, S. 18).

Außer diesen Arbeiten fehlte natürlich nicht die Lektüre von Werken wie Comentarios Reales von Inca Garcilaso, sicherlich auch Lima fundada von Pedro de Peralta (1732), Pedro de Oña und seine Arauco domado, La Araucan von Ercilla, die Chroniken von Pedro Cieza de León und Francisco de Gómara und auch Berichte über die Expedition von La Condamine, Antonio de Ulloa und Jorge Juan, letztere sind die Autoren einer Relación Historica del Viaje a la América Meridional um 1748 (siehe Nuñez, 1971, S. 16). Besondere Aufmerksamkeit verdient der Mercurio Peruano („Geschichte, Literatur und öffentlichen Nachrichten“), herausgegeben zwischen 1791 und 1795, nach Cesar Pacheco Vélez: „(...) die wichtigste Zeitschrift, die damals in ganz Spanisch-Amerika herausgegeben wurde (...)“ (Pacheco, 1986, S. 33). Humboldt kannte einen der Fürsprecher dieser Zeitung (den Priester Diego Cisneros) und las ausgiebig den Mercurio „(...) viele Stunden der Widmung (...)“ wie Estuardo Nuñez und G. Petersen erwähnen.

Er schickte Unmengen von dieser Zeitschrift nach Weimar, wo sie z. T. ins Deutsche übersetzt wurden. Sogar Goethe kannte diese Übersetzungen (siehe Nuñez, 1971, S. 18). Pacheco Vélez unterstreicht den fortschrittlichen Charakter, den die Zeitung hatte und was das bedeutete: „Die große Öffnung des intellektuellen Horizontes der Kreolen, das Bewusstsein ihrer eingeschränkten und abhängigen Situation und ihr Wunsch zur Autonomie“ (Pacheco, 1986, S. 33) zeigten ein aufkommendes Nationalgefühl.

In enger Beziehung zum Mercurio Peruano stand auch der Mediziner Hipólito Unanue, einer der Gründer der Sociedad de Amantes del País, Fürsprecher der Zeitung. Unanue war von 1791 bis 1795 ein eifriger Mitarbeiter des Mercurios (er schrieb unter dem Pseudonym „Aristio“), aber auch Baquijano und Carrillo waren unter den fortschrittlichen Männern. Humboldt verkehrte in Lima mit Hipólito Unanue. Eine enge Beziehung hatte er aber zu dem Priester Diego Cisneros, von dem er sagte: „(...) Pater Cisneros del Escorial fand ich interessant, er ist ein Mann mit vielen Talenten und einem selbst unter den europäischen Spaniern ungewöhnlichen Patriotismus“ (Nuñez, 1971, S. 198). Und schließlich ist unter den bemerkenswerten Persönlichkeiten, mit denen Humboldt verkehrt noch der Mathematiker Santiago de Urquizu zu nennen, der in der Casa de la Moneda arbeitete und den Humboldt als „den weisesten und freundlichsten“ Menschen von Lima bezeichnete (Ibid., S. 198).

Humboldt verkehrte mit einer kreolischen Elite in Lima, die den neuen Ideen von draußen offen gegenüber standen. Ganz allgemein jedoch beschränkten sich seine Freundschaften, oder besser gesagt seine Bekannten, auf die Gruppe der weißen Bevölkerung, die ihn aufnahm. Diesbezüglich gab es eine gewisse Distanz zu den anderen Gruppen der Bevölkerung (siehe Minguet, 1969). Nach allem was gesagt wird, handelte es sich um eine unermüdliche Persönlichkeit. Es können noch weitere Punkte hinzugefügt werden, die in keiner Weise die Aktivitäten seiner Persönlichkeit erschöpfen, seine Analyse des Verhaltens der Leute in Lima („die Damen der Stadt fuhren in schönen Kutschen spazieren“), der Architektur (das Kloster San Francisco, der Paseo de Aguas, der Palast Torre Tagle, das Schloss Real Felipe in Callao) oder die Zeit, die er sich nahm, um seine Pflanzensammlung für den Transport nach Europa fertig zu machen (siehe Vegas Vélez, 1991, S. 77-82, Botting, 1981, S. 143).

Vielseitiger Humanist und gleichzeitig ins Detail gehend hinterließ er uns seine Reiseeindrücke nicht in systematischer Reihenfolge, sondern mit einer gewissen Unordnung, die jemanden zu eigen ist, der keine seiner Erfahrungen oder Gefühle vergessen möchte, und so den Lauf verfolgt, den er Tag für Tag erlebt. So weit die Aktivitäten des deutschen Reisenden. Nun folgt dessen kritische Urteil über die Stadt.

Lima mit den Augen von Humboldt

Das Lima, das Humboldt zu Anfang des 19. Jahrhunderts kennen lernte, hatte den Einfluss verschiedener neuer Denkrichtungen erfahren und bereits einige entscheidende Veränderungen mitgemacht, hauptsächlich während der Regierungszeit der Vizekönige Agustin de Jauregui (1780-1784), Teodoro de Croix (1784-1790), Francisco Gil y Lemos (1790-1796), Ambrosio de O´Higgins (1796-1801) und schließlich Gabriel de Avilés (1801-1806). Im Jahre 1784 unter dem Vizekönig de Croix machten sich die bourbonischen Reformen in Peru bemerkbar, z. B. durch die Aufteilung des Landes in sieben Verwaltungsbezirke. Man litt noch unter den Auswirkungen des Aufstands von Túpac Amaru (1780-1781) und unter der Gründung des Vizekönigreiches Rio de la Plata (1776). Im Jahre 1792 hat der Vizekönig Gil y Lemos eine Volkszählung in Lima gemacht, die auf 52.627 Einwohner kam. Das damalige Peru zählte 1´076.122 Einwohner. Es war die Epoche der bereits erwähnten Expeditionen von Malaspina und Nordenflycht, Gründungszeitpunkt des Zeitungswesens von El Mercurio Peruano und Seminario Crítico. Die Regierung des Vizekönigs O´Higgins kämpfte gegen die ständigen Angriffe der englischen Piraten, wirtschaftliche Probleme und gegen starke von außen kommende Ideen revolutionärer Gestalt, vor allem nach den Ereignissen in Frankreich im Jahre 1789 und der Menschen- und Bürgerrechtserklärung. Bereits unter der Regierung des Vizekönigs Avilés kam Humboldt nach Lima (siehe Vargas Ugarte, 1966, S. 39-176; Del Busto, 1994, S. 209-230).

Es ist also umso erstaunlicher, dass trotz der Fortschritte, die es in bestimmten Kreisen bezüglich einer Öffnung für neue Ideen und bezüglich der Gründung fortschrittlicher Institutionen (u. a. Convictorio de San Carlos) in Lima gab, Humboldt in seiner Kritik an der Gesellschaft von Lima so schonungslos ist und als kleine Ausnahmen eine geringe Anzahl Kreolen und Spanier vorstellt. Könnte es sich dabei vielleicht um eine Strategie handeln, um damit die dringende Notwendigkeit der politischen Veränderungen oder des Verhaltens der Gesellschaft zu unterstreichen? Zitieren wir ihn mit seinem Brief an Ignacio Checa: „Ein sehr trauriger Fall, der den Regierungsstil erklärt, zeigt die nachstehende Überlegung. In Lima selbst habe ich nichts über Peru erfahren. Dort wird nie ein Thema über das allgemeine Wohl des Reiches behandelt. Lima ist weiter weg als London und obwohl man sich in keinem Teil des spanischen Amerikas über zu viel Patriotismus beklagen kann, kenne ich keinen Ort, an dem dieses Gefühl weniger vorhanden ist als hier. Ein kalter Egoismus beherrscht alle und was man nicht am eigenen Leib erleidet, interessiert niemanden“ (Brief, der bei Nuñez, 1971, S. 198 zu finden ist).

Der deutsche Gelehrte beschreibt auch die wirtschaftliche Krise von Lima: „Heute kommt in Lima niemand auf dreißigtausend (Pesos Einkommen) und wenige auf zwölftausend. Ich habe weder reich geschmückte Häuser noch mit zuviel Luxus gekleidete Damen gesehen und ich weiß, dass die meisten Familien ruiniert sind.“ (Ibid. S. 197).

Er urteilt ferner, dass die Dekadenz von Lima das Ergebnis von - wie er es nennt - „der Konfusion der Wirtschaft und des Spiels“ ist. Auf kulturellem Gebiet kritisiert er die fehlende Freizeitgestaltung, unterstreicht den Schmutz in der Stadt und die fehlende Geselligkeit ihrer Leute, und ist radikal, wenn er sagt, dass „Lima der letzte Ort in Amerika sei, an dem er wohnen möchte“. Abgesehen von gewissen unbestreitbaren Wahrheiten, fragt man sich natürlich, welche Unannehmlichkeiten können ihm zugestoßen sein, die seine Meinung so beeinflusste? Hatte es evtl. etwas mit gewissen Synchronisationsproblemen in seinem Fahrplan zu tun, seine Reiseschwierigkeiten nach Mexiko, weil es kein Schiff gab oder irgendein anderer frustrierender Vorfall? Oder war es einfach sein Wunsch, seine Unzufriedenheit gegenüber dem, was Estuardo Nuñez „das offizielle Land“ nannte und das fern von dem „wirklichen Heimatland“ lag, das Humboldt mehr schätzte, Ausdruck zu geben? (Nuñez, 1971, S. 19).

Es sind noch einige Fragen offen, aber wir können auf keinen Fall die Überlegungen übersehen, die der deutsche Gelehrte über das Nationalbewusstsein der Bewohner von Lima machte, der fehlende Patriotismus, der Egoismus, der sie seiner Meinung nach charakterisierte. All diese Beobachtungen, die vor Jahren zu Ende der Kolonialzeit von dem in Lateinamerika bekanntesten Deutschen gemacht wurden, sind auch heute noch ein Grund und eine Motivation, weiter nach unserer Identität, unserem nationalen Projekt, der Dezentralisierung auf den verschiedenen Ebenen, nach besseren Formen der Integration unter den Regionen und Sektoren in unserem Lande zu suchen.

Colegio Peruano Alemán - Deutsche Schule Lima Alexander von Humboldt
Av. Benavides 3081, Miraflores. Lima - Perú. Telefon: 617 9090.